Knapp ein halbes Jahr nach der Feier ihres 250. (!) Geburtstags im Jahr 2024 kündigte die Marke Birkenstock eine neue Ära des Geschäfts an. Die amerikanische Investmentgesellschaft L Catterton, die seit 2021 eine Mehrheitsbeteiligung hält, prüft mit Finanzexperten das Potenzial für einen Börsengang (IPO), und Insider schätzen den Wert der beliebten Schuhmarke auf hohe sechs Milliarden Dollar.
Nachdem sie über zwei Jahrhunderte hinweg dem Test der Zeit standgehalten hat und nicht nur stabile Verkaufszahlen verzeichnete, sondern kontinuierlich wuchs, ist es an der Zeit, sie nicht mehr mit der Beschreibung ‚hässliche Sandalen‘ zu assoziieren und ihr den wohlverdienten Titel ‚die beliebteste Schuhmarke aller Zeiten‘ zu verleihen, eine Marke, die trotz aller Markt- und historischen Herausforderungen weiterhin wächst und keine Pläne hat, damit aufzuhören. Birkenstocks sind ein Phänomen in der Geschäftswelt, insbesondere im Marketing, dem Vater des Brandings, und erreichen einen Wert von sechs Milliarden mit nur einer (einer!) klassischen globalen Marketingkampagne, die genau vor einem Jahr gestartet wurde.
‚Orthopädische‘ Nische
Zu diesem Zeitpunkt entschied der CEO des Unternehmens, Oliver Reichert, die Beschreibung ‚hässliche Sandalen‘ öffentlich zu akzeptieren und eine Marketingkampagne zu unterstützen, die die Botschaft vermittelte, dass Birkenstocks hässlich sind, aber aus einem bestimmten Grund. Ziel der dreiteiligen Kampagne war es, die Kunden über den wunderbaren menschlichen Fuß zu informieren und zu erklären, dass die Entwicklung der gesamten Menschheit darauf beruht, dass wir auf unseren Füßen stehen und dass Schuhe daher äußerst wichtig für die allgemeine Gesundheit des Menschen sind. Dieser Schritt in die Welt der klassischen Werbung fand bei den Kunden nicht viel Resonanz, nicht weil die Kampagne besonders schlecht war, sondern weil sie im Wesentlichen unnötig war – die Verkaufszahlen wuchsen ohnehin, mit oder ohne die Kampagne. In über 250 Jahren Geschäft hat das Unternehmen mehrere existenzielle Krisen durchlebt, diese jedoch erfolgreich mit klugen geschäftlichen (und marketingstrategischen) Schritten und ein wenig Glück gemeistert.
1774 eröffnete der Deutsche Johann Adam Birkenstock eine Schuhmacherei und konzentrierte sich zunächst auf Schuhe, die gesunde Füße garantieren. Sein Enkel Konrad eröffnete Ende des 19. Jahrhunderts zwei Geschäfte und brachte eine Innovation auf den Markt – Fussbet – anatomisch geformte Polster/Einsätze, die den Fuß unterstützen und formen. Tatsächlich spielte Birkenstock in diesen frühen Tagen die Gesundheitskarte und nicht die Ästhetik und versuchte, die Kunden über die Vorteile von qualitativ hochwertigem Schuhwerk für das Bewegungs- und Kreislaufsystem zu informieren; er schrieb sogar Gesundheitsratgeber, die in ganz Europa verkauft wurden.
In den frühen 1960er Jahren wurde das Madrid-Modell eingeführt, eine mittlerweile berühmte Sandale mit einem Lederband und einer Korksohle. Die Eigentümer des Unternehmens und Gesundheitsenthusiasten hatten das Glück, dass diese Sandalen unter die Füße der deutschen Schneiderin Margot Fraser kamen, die in Los Angeles arbeitete und lebte. Fraser trug während ihres Aufenthalts in einem deutschen Kurort die ‚Madrid‘-Sandalen, und ihr Komfort beeindruckte sie so sehr, dass sie zur Markenbotschafterin auf dem amerikanischen Markt wurde. Bald wurden die Sandalen von amerikanischen Hippies, aber auch von Gesundheitsfachleuten und Kunden, die mehr Wert auf Komfort als auf Stil legten, angenommen.
Obwohl sie eine Zeit lang dank der Hippies ein Symbol für Bohemianismus und Antikonsumismus waren, wurden sie von den Verbrauchern nicht mehr als komfortable, aber hässliche orthopädische Sandalen wahrgenommen. Birkenstocks wurden in Reformhäusern und Apotheken gekauft und nicht mit Stil, geschweige denn mit haute couture in Verbindung gebracht. Das deutsche Unternehmen machte in seiner ‚orthopädischen‘ Nische recht gute Geschäfte, wurde gelegentlich von bestimmten Subkulturen (Hippies, Skater…) entdeckt und angenommen, war jedoch für die breite Öffentlichkeit, insbesondere für die High Fashion, immer noch nicht ‚cool‘. Doch 1990 lächelte das Glück den deutschen Sandalen zu.
Markenreinvention
In einem berühmten Fotoshooting für das Cover des The Face-Magazins hielt die Fotografin Corinne Day die damals unbekannte Kate Moss fest, die in einem Leinenhemd gekleidet war – und Birkenstocks trug. Der lässige, coole Stil zog die Aufmerksamkeit von Modekennern auf sich, die begannen, Birkenstocks in ihre Outfits zu integrieren. Sie waren auch bei Grunge-Fans äußerst beliebt, aber als dieser Musikstil zu Beginn des neuen Jahrtausends an Popularität verlor, begannen die deutschen Sandalen, eine existenzielle Krise zu erleben. Um klarzustellen, das Unternehmen verzeichnete nie größere Verluste, aber es schwankte zwischen dem Gewinnen und Verlieren von Kunden außerhalb seiner sogenannten ‚orthopädischen‘ Nische. Es half nicht, dass die drei Brüder, Erben des Familienpatriarchen Karl, sich nicht über die Richtung des Unternehmens einigen konnten.