Geopolitische Umwälzungen sind bereits ein etabliertes Risiko, das die erwartete Erholung im Euro-Raum im Verlauf des laufenden Jahres weiter verlangsamen oder verzögern könnte. Aus diesem Grund sind viele Unternehmen gezwungen, in Diversifizierung in oft teurere Lieferketten zu investieren. Darüber hinaus würde ein plötzlicher Anstieg der Ölpreise auf 130 USD pro Barrel in der ersten Jahreshälfte, gefolgt von einer Stabilisierung um 100 USD, die durchschnittliche Inflation im Jahr 2024 auf 5 Prozent (anstatt 2,5 Prozent im Basisszenario) anheben. In diesem Fall würde das europäische BIP im Jahr 2024 um -0,8 Prozent fallen, gefolgt von einer Erholung von 0,8 Prozent im Jahr 2025.
Der Hintergrund des neuen Energieschocks unterscheidet sich von dem erlebten Gasschock. In diesem Szenario würde die EZB zunächst weiterhin die Zinssätze erhöhen, bevor sie gezwungen wäre, die Zinsen bis 2025 und darüber hinaus tief auf 1 Prozent zu senken. Ende 2024 wurden wir von einem Anstieg der realen Zinssätze um 75 Basispunkte aufgrund ungerechtfertigter Spillover-Effekte vom US-Markt überrascht. Zum Beispiel zeigen Berechnungen von Bank of America, dass ein realer Zins-Schock von etwa 100 Basispunkten das BIP ähnlich realistisch um -0,7 Prozent senkt, jedoch mit einer schwächeren Erholung von nur 0,5 Prozent im Jahr 2025.
– Die EZB könnte nicht ‚mit verschränkten Armen‘ dasitzen, sie müsste die Zinsen schneller unter 1 Prozent senken und wir könnten das Zurückziehen des Pandemie-Anleihekaufprogramms vergessen und stattdessen das Übertragungs-Schutzinstrument (TPI) aktivieren. Das Haupt-‚Inlandsrisiko sind strengere Haushaltsregeln, die führende Volkswirtschaften wie Frankreich, Italien, Spanien und andere im Jahr 2025 in Verfahren wegen übermäßiger Defizite drängen werden, mit vollständiger Umsetzung der Haushaltsmaßnahmen ab 2027 – schreibt HUP in einer Analyse der wichtigsten Wachstumsbedrohungen.
Ein zusätzliches Risiko ist die ‚automatische Bremse‘ auf die deutsche Staatsverschuldung, die die Möglichkeit neuer Kredite in den kommenden Jahren erheblich verringert, trotz steigender Verteidigungs- und Rentenausgaben. Im Falle der Materialisierung idiosynkratischer Risiken für einzelne Volkswirtschaften könnte es leicht zu einer aggressiveren Haushaltsstraffung mit negativen Auswirkungen auf Investitionen und Wachstum kommen. Auch ein Szenario, in dem Politiker zwischen dringenden Investitionen und schmerzhaften Ausgabenkürzungen wählen müssen, würde politische Risiken in mehreren EU-Mitgliedstaaten entfachen.
Bisher hat die Peripherie des Euro-Raums trotz steigender Zinssätze, erheblicher Finanzierungsbedarfe und eines Rückgangs der Bilanz der EZB gut durchgehalten. Fehler in der Haushaltspolitik könnten dieses fragile Gleichgewicht jedoch leicht stören. Im Falle erneuter inflationärer Druck könnte die EZB leicht zwischen einem Felsen und einem harten Platz geraten. Tatsächlich gibt es wenig Spielraum für anti-inflationäre Zinserhöhungen der EZB, ohne einen starken Schock für die EU-Peripherie zu verursachen.
