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Das Paradoxon der Westlichen Balkanstaaten: Schwächer, aber Widerstandsfähiger als Europa

Die Länder des Westlichen Balkans – Albanien, Bosnien und Herzegowina, Kosovo, Montenegro, Nordmazedonien und Serbien – erzielen derzeit bessere wirtschaftliche Ergebnisse als die meisten Länder in Mittel-, Ost- und Südosteuropa. Trotz globaler Krisen, steigender Inflation und geopolitischer Spannungen zeigt die Region überraschende Widerstandsfähigkeit und Stabilität.

Wie Mario Holzner, Direktor des Wiener Instituts für Internationale Wirtschaftsvergleiche (wiiw), in seiner Analyse schreibt, zeichnen sich die Westlichen Balkanstaaten durch eine Reihe von Paradoxien aus, die trotz geringerer Entwicklung zu einer Quelle der Stärke geworden sind.

Das erste Paradoxon liegt in der geringeren Anbindung an globale Wertschöpfungsketten. Während hochintegrierte Volkswirtschaften unter Lieferunterbrechungen und Handelskriegen litten, blieben die Länder des Westlichen Balkans teilweise geschützt. Das zweite Paradoxon ist der demografische Rückgang: Der Arbeitskräftemangel erhöht die Löhne, stärkt den Binnenkonsum und fördert Investitionen in Automatisierung und Robotisierung.

Das dritte Paradoxon bezieht sich auf die späte Integration in ein Wachstumsmodell, das auf ausländischen Direktinvestitionen (FDI) basiert. Aufgrund der politischen Instabilität in den 1990er Jahren war die Region lange Zeit für Investoren unattraktiv, doch nun treiben der Prozess der EU-Näherung und der Trend des „Nearshoring“ einen zunehmenden Kapitalzufluss voran.

IT-Sektor und grüne Energie als neue Treiber

Heute ziehen die Westlichen Balkanstaaten doppelt so viel ausländische Investitionen (relativ zum BIP) an wie osteuropäische Länder innerhalb der EU. Die Nettokapitalzuflüsse in den letzten Quartalen beliefen sich auf etwa fünf bis sechs Prozent des BIP. Allerdings warnt Holzner, dass das allgemeine Investitionsmomentum in der Region nach der russischen Invasion in der Ukraine zu schwächeln begonnen hat, da die Investoren zunehmend vorsichtiger werden.

Der größte Teil der neuen Investitionen fließt in die Informationstechnologie und erneuerbare Energiequellen. Im Jahr 2024 machten IT- und Software-Dienstleistungen 21 Prozent aller neuen Greenfield-Projekte aus, während Investitionen in erneuerbare Energien 14 Prozent der Projekte repräsentierten, aber fast die Hälfte des insgesamt investierten Kapitals ausmachten. Diese Kombination positioniert die Region als wichtigen Akteur im digitalen und energetischen Übergang Europas.

Trotz positiver Indikatoren fiel die Zahl neuer Projekte im Jahr 2024 um 26 Prozent, und der Gesamtwert der Investitionen sank um 58 Prozent. Holzner verknüpft diesen Rückgang mit der wachsenden globalen Unsicherheit, die Analysten als ‚Kalter Krieg 2.0‘ bezeichnen. Traditionelle Investoren wie Deutschland und Österreich haben ihre Aktivitäten in der Region reduziert, was Fragen zur Nachhaltigkeit des bisherigen Schwungs aufwirft.

Deutsche Fiskalpolitik als Schlüssel zum zukünftigen Wachstum

Obwohl die globale Unsicherheit die Investitionen verlangsamt, entsteht für die Westlichen Balkanstaaten eine neue Gelegenheit in Form eines europäischen Wettrüstens. Die deutsche Rüstungsproduktion hat bereits die Niveaus der 1980er Jahre übertroffen, und Unternehmen wie Rheinmetall investieren in neue Anlagen in ganz Europa. Die Region könnte einige dieser Investitionen anziehen, dank ihrer industriellen Tradition und qualifizierten Arbeitskräfte, während sie sorgfältig Sicherheits- und Entwicklungsziele in Einklang bringt.

Holzner schlussfolgert, dass das zukünftige Wachstum der Westlichen Balkanstaaten weitgehend von der deutschen Fiskalpolitik abhängen wird. Wenn Berlin weiterhin die öffentlichen Ausgaben durch Infrastruktur- und Verteidigungsfonds erhöht, könnte dies das Wachstum in ganz Europa ankurbeln – insbesondere in den Volkswirtschaften der Westlichen Balkanstaaten, die traditionell doppelt so schnell wachsen wie die westeuropäischen.

Mit anderen Worten, die Widerstandsfähigkeit der Region könnte zu ihrem größten Entwicklungsvorteil werden, vorausgesetzt, sie nutzt eine neue Welle von Investitionen, stärkt die Beziehungen zur EU und erhält die Stabilität in einem komplexen geopolitischen Umfeld.

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