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Die EU will einen Super-Regulator: ESMA übernimmt die Aufsicht über Börsen und Krypto

Börsen, Kryptowährungsunternehmen und Clearinghäuser, die in der Europäischen Union tätig sind, könnten bald unter der direkten Aufsicht der Europäischen Wertpapier- und Marktaufsichtsbehörde (ESMA) stehen. Dies ist Teil eines Plans, den die Europäische Kommission vorbereitet, der einige der Befugnisse nationaler Regulierungsbehörden auf Unionsebene übertragen würde. Laut der ESMA-Vorsitzenden Verena Ross, wäre dies ein wichtiger Schritt zur Schaffung eines integrierteren und global wettbewerbsfähigen Kapitalmarktes in Europa.

Die Idee ist nicht neu. Seit der Gründung der ESMA im Jahr 2011 wird kontinuierlich über die Notwendigkeit einer stärkeren Harmonisierung der Marktregeln und einer effektiveren Aufsicht diskutiert. Dennoch ist die tatsächliche Aufsicht über die Finanzmärkte trotz europäischer Initiativen wie der Kapitalmarktunion in den Händen von 27 nationalen Behörden geblieben. Diese Fragmentierung hat zu unterschiedlichen regulatorischen Standards und inkonsistenten Praktiken geführt.

Dies zeigt sich besonders im Fall von Kryptowährungen: Während die neue MiCA-Verordnung, die in diesem Jahr verabschiedet wurde, einen gemeinsamen Rahmen schaffen sollte, blieb die Aufsicht über Krypto-Dienste dennoch bei den Mitgliedstaaten. Ross warnt, dass dies zu siebenundzwanzig unterschiedlichen regulatorischen Mechanismen geführt hat, die Ressourcen duplizieren und Ineffizienzen erzeugen, anstatt Expertise an einem Ort aufzubauen.

Widerstand von kleineren Mitgliedstaaten

Es gibt bereits Beispiele. Im Juli kritisierte die ESMA den maltesischen Prozess zur Erteilung europäischer Lizenzen an Krypto-Unternehmen und stellte fest, dass bestimmte Risiken im Genehmigungsprozess nicht angemessen bewertet wurden. Solche Situationen werfen Fragen zum Vertrauen in den einheitlichen europäischen Markt auf und regen die Diskussion darüber an, ob es an der Zeit ist, die Aufsicht, zumindest über wichtige grenzüberschreitende Institutionen, zu einer europäischen und nicht zu einer nationalen Verantwortung zu machen.

Der Weg zur Zentralisierung ist jedoch nicht einfach. Kleinere Mitgliedstaaten wie Malta, Luxemburg oder Irland haben bereits angedeutet, dass eine solche Reform ihre Positionen als Finanzzentren untergraben könnte. Claude Marx, Leiter der luxemburgischen Aufsichtsbehörde, warnte kürzlich, dass die Gewährung von Befugnissen an die ESMA über alle europäischen Investmentfonds ein ‚Monster‘ schaffen würde. Ähnliche Botschaften kommen aus Dublin und Valletta, wo die Befürchtungen bestehen, dass die Übertragung von Befugnissen nach Paris ihre Flexibilität und Wettbewerbsfähigkeit verringern würde.

Andererseits verändern sich die politischen Dynamiken in der Union. Der enorme Bedarf an privatem Kapital, von Verteidigung über den grünen Übergang bis hin zur Digitalisierung, stellt die Integration des Kapitalmarktes ganz oben auf die Prioritätenliste. Ross betonte, dass ‚der Bedarf, Barrieren abzubauen und Fragmentierung anzugehen, jetzt höher ist als je zuvor‘, da Europa ohne einen einheitlicheren Markt Schwierigkeiten hat, die notwendigen Mittel zu mobilisieren.

ESMA als SEC

Ein zusätzlicher Anstoß kam von einer Analyse des ehemaligen Präsidenten der Europäischen Zentralbank, Mario Draghi, der im vergangenen Jahr in einem Bericht über die Wettbewerbsfähigkeit der Union empfahl, die ESMA in einen Regulator mit Befugnissen ähnlich denen der U.S. Securities and Exchange Commission (SEC) zu transformieren. Sein Bericht hob hervor, dass Europa, wenn es Kapital anziehen und mit den USA und Asien konkurrieren will, seine Aufsichtsstruktur vereinfachen muss.

Seitdem hat die ESMA bereits neue Befugnisse gewonnen. Ab dem nächsten Jahr wird sie für die Aufsicht über Anbieter von sogenannten ‚consolidated tape‘-Diensten verantwortlich sein, Datenbanken, die Echtzeitdaten zu Aktien- und Anleihepreisen sammeln und aggregieren, sowie für die Aufsicht über Agenturen, die ESG-Ratings ausstellen. In Brüssel wird nun in Erwägung gezogen, einen weiteren Schritt zu unternehmen, nämlich die größten grenzüberschreitenden Institutionen unter ihre Aufsicht zu stellen, von Börsen über Krypto-Unternehmen bis hin zu zentralen Clearinghäusern.

Wie ein solcher Vorschlag unter den Mitgliedstaaten ankommen wird, bleibt eine offene Frage. Einige werden es als notwendigen Schritt in Richtung eines einheitlichen Marktes ansehen, während andere es als Bedrohung für ihre eigenen Finanzökosysteme betrachten. Darüber hinaus stellt sich die Frage, ob die ESMA die Kapazität und Expertise hat, die Aufsicht über Börsen, Krypto-Unternehmen, Clearinghäuser und Investmentfonds in kurzer Zeit zu übernehmen. Kritiker argumentieren, dass eine plötzliche Übertragung von Befugnissen regulatorische Lücken und Verzögerungen in der Aufsicht schaffen könnte. Darüber hinaus birgt die Konzentration von Macht in einer Institution systemische Risiken: Jeder potenzielle Fehler, politischer Druck oder ineffizientes Management könnte Konsequenzen für den gesamten europäischen Kapitalmarkt haben.

Schließlich gibt es die politische Frage der Legitimität. Nationale Regulierungsbehörden sind ihren Parlamenten und Bürgern gegenüber verantwortlich, während ein europäischer Aufseher deutlich weiter von der demokratischen Kontrolle entfernt wäre. All diese Dilemmata machen die Diskussion über die Zukunft der ESMA zu einem der zentralen Themen beim Aufbau eines wirklich einheitlichen Kapitalmarktes in der EU.

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